Müssen wir uns selbst lieben, um guten Sex zu haben? - Gastbeitrag von Julia Henchen

Sandra Wurster | 29 September, 2020


          
            Müssen wir uns selbst lieben, um guten Sex zu haben? - Gastbeitrag von Julia Henchen

Gastbeitrag von Julia Henchen (Instagram: @lustfaktor)

Wir kennen sie alle, diese Ratschläge zur Selbstliebe: „Du musst dich erst selbst lieben, bevor es jemand anderes tut“, „Wer sich nicht selbst befriedigt, kann sich ja auch nicht lieben“ oder sogar „Wer sich nicht lieben kann, befriedigt sich ja auch nicht.“ Ziemlich starke Worte. Aber natürlich stecken in diesen Sprüchen auch Wahrheitsfunken. Und scheinbar ist Selbstliebe gerade etwas, das wir alle unbedingt erreichen müssen, denn wir lesen es überall: Selbstliebe macht dich glücklich!

Was aber, wenn das alles gar nicht funktionieren will?

Wenn wir uns manchmal einfach nicht mögen? Oder immer? Weil wir eine Depression haben oder einfach echt viel Mist erlebt haben? Und was, wenn wir uns selbst befriedigen möchten, uns aber gar nicht sexy finden? Was, wenn der Sex mit anderen echt schwierig ist, weil unser Körper einfach nicht so ist, wie wir es uns wünschen? Und all die Liebe gar nicht hilft?

Ich möchte dich heute ermutigen und dir sagen: Es ist okay!All das ist okay und definiert dich nicht. Bist du deswegen weniger liebenswert, weil du dich selbst nicht lieben kannst?

Nein! Dein Wert und dein Leben definieren sich nicht darüber, wie sehr du dich liebst. Selbstliebe ist keine notwendige Eigenschaft, um ein glückliches Leben führen zu dürfen. Deine Attraktivität und deine sexuelle Lust definieren sich nicht über dein Körperbild. Es kann sein, dass du dich während des Sex wohl und sexy fühlst und im Anschluss unsicher. Unsere Sexualität ist so vielfältig, und es können so viele Gefühle und Emotionen durch Sex ausgelöst werden. Sex kann ebenso ein Versuch sein, diese Gefühle und Ängste zu unterdrücken. Auch das ist möglich. Paradoxerweise ist es okay, Sex zu haben, obwohl du dich nicht selbst lieben kannst. Bei der Selbstbefriedigung werden an diesen Akt Bedingungen von Selbstliebe geknüpft. Damit entgehen dir jedoch wichtige Faktoren, die auf deinen Körper Einfluss nehmen können. Selbstbefriedigung kann zum Beispiel ein Stressregulator sein. Eventuell fühlst du dich erst durch Selbstbefriedigung sexy. Viele erleben auch ein unangenehmes Gefühl nach der Selbstbefriedigung, wie etwa Scham oder Angst.

Und auch das ist okay. Es ist okay, sich zu schämen, gerade beim Thema Sexualität. Wir haben es häufig nicht anders gelernt.

Ich möchte dir etwas verraten: Es ist möglich, über die Sexualität einen Zugang zu finden, dich mehr und mehr zu akzeptieren und dich selbst anzunehmen. Und es ist auch okay, wenn du das nicht über Sexualität kannst und durch mehr Akzeptanz deiner Selbst zum Sex findest. Die Selbstliebe kommt und geht, aber du, mit all deinen Gefühlen, Ängsten und Sorgen, bleibst. Dein Körper ist letztendlich deine Hülle – deine sexuelle Attraktivität oder deine Lust auf Sex wird dadurch nicht definiert. Deine Gedanken formen deine Lust, deine sexuellen Fantasien und dein Begehren. Eine Akzeptanz zu schaffen ist nachhaltiger als Selbstliebe mit Druck zu fokussieren. Eine Akzeptanz für deinen Körper zu schaffen und für deine Person, mit allem, was zu dir gehört, wird dich näher zu dir bringen und die Liebe für dich anregen.

Weißt du, was ich noch sehr wichtig finde? Es ist okay, wenn dir andere Menschen dabei helfen, zu heilen. Denn tatsächlich ist es nicht so, dass du dich selbst lieben musst, bevor es andere tun. Gerade an Tagen, an denen ich mich nicht mag, hilft mir mein Partner häufig sehr, die Perspektive zu wechseln. Es ist okay, dass mein Partner mir hilft, mich zu verändern und mir Kraft gibt, mich so anzunehmen, wie ich bin. Und es ist egal, ob dir ein:e Partner:in, Freund:in oder deine Katze hilft. Denke immer daran: In Phasen unseres Lebens, in denen Struktur Einzug erhält, können Wunden aufbrechen und heilen.

Und was ich dir noch mitgeben möchte: Du musst dich nicht selbst befriedigen und schon gar nicht aus einem Akt der Selbstliebe. Liebe macht vielen Menschen auf unterschiedliche Weise Angst. Und Selbstbefriedigung soll uns keine Angst machen müssen. Es muss uns nicht beschämen und niemand hat das Recht, deine Sexualität oder dich über Selbstbefriedigung zu bewerten.

Höre auf zu glauben, was andere über Sexualität oder dich zu sagen haben. Denn nichts beeinflusst dich mehr als deine Gedanken. Suche dir deine Gedanken bewusst aus. Was hast du über dich, deinen Körper und deine Sexualität zu sagen? Gehe in ein Gespräch mit dir selbst. Was willst du über dich denken? Achte dabei auch darauf, was du konsumierst. Egal ob Filme, Lieder oder Worte. Dein Gehirn unterscheidet nicht zwischen Fiktion und Realität. Was du siehst und auch denkst, formt dein Bewusstsein, also das, was du glaubst – über dich und andere. Sei dir dessen also bewusst und wähle weise.

Probiere dich aus, lerne etwas über deinen Körper, über den Orgasmus und spreche mit Menschen darüber, denen du vertraust. Es ist okay, unsicher zu sein. Vergib dir! Vergib dir sowieso viel mehr. Unterscheide zwischen dir und deinem Verhalten. Es ist okay, Angst zu haben. All das ist okay.

Vergib also auch deinem Körper und genieße ihn. Nutze deine Lust und kitzle sie heraus. Wo genau spürst du sexuelle Lust? Alles, was du brauchst, steckt bereits in dir. Du bist gut so, wie du bist!

Ich wünsche dir viel Spaß beim Ausprobieren und viele neue Erkenntnisse,

Deine Julia

Über Mich

Ich bin Sexualpädagogin und Beraterin und Gründerin von Lustfaktor, einem Aufklärungskanal in den sozialen Medien. Neben dieser Arbeit habe ich eine Praxis für Paar- und Sexualberatung und sehe Menschen zu jedem Alter, die Fragen zu ihrer Sexualität haben. Wenn auch du etwas über deine Sexualität lernen möchtest, dann schau doch mal bei Instagram oder meiner Website vorbei. Ich freue mich auf dich!

www.julia-henchen.de

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