Warum du deinen Look erst finden kannst, wenn du dich gefunden hast

Sandra Wurster | 05 October, 2020


          
            Warum du deinen Look erst finden kannst, wenn du dich gefunden hast

Vorab: Heute möchte ich mit meinen zwei komplett unterschiedlichen Texten auch zwei komplett unterschiedliche Mode-Typen erreichen. Vielleicht findest du in beiden jeweils ein kleines Stückchen deiner persönlichen Wahrheit. Ich bin jedenfalls sehr zuversichtlich – du machst das schon!

Heute werde ich oft für meine „mutigen Looks“ gefeiert. Und klar, die Komplimente sind kleine Pusher für das eigene Ego, doch mir war und ist immer wichtig gewesen, dass man die Frau sieht, die mit all ihren Stärken und Schwächen, Visionen, Herzensthemen und einzigartigen „Leucht-Skills“ unter der Kleidung steckt. Denn lange Zeit meines Lebens nutzte ich meinen Körper als „dicke Kleiderstange“, die sich damit brüstete, wie gut sie sich kleiden kann. Wenn ich schon keine Anerkennung für meine ständigen Diät-Versuche abstauben konnte, dann zumindest für das Schmücken bzw. Verstecken meines Körpers. Doch es ist so: Wenn du nichts Schönes im Inneren trägst und dich hässlich fühlst, wirst du wahnsinnig viel Geld in die Hand nehmen, um dich äußerlich, sei es nur kurzzeitig, schön zu fühlen. Ich vergaß, dass ein voller Kleiderschrank langfristig niemals meine innere Leere füllen konnte. Wenn ich nicht lernte, mir diese Bestätigung, die ich unbewusst so oft im Außen bei anderen suchte, selbst zu geben, würde ich niemals frei von der Meinung anderer sein und mich stattdessen finanziell in den Ruin treiben. Denn „kurzes Glück“ – wie Ablenkung und “Betäubung“ – erkennst du daran, dass die Freude, die du zu Beginn spürst, relativ schnell erlischt und es dich dann wie beim Down nach einem Rauschgefühl wieder in das Anfangsgefühl zwingt. Erkennst du diesen gefährlichen Kreislauf und das unbewusste Suchtpotenzial?

Möchtest du endlich deiner gefühlten Kaufsucht und den Onlineshopping-Marathons die Stirn bieten? Dann finde dein „Wofür“ – warum bist du hier, was kannst du, was niemand sonst kann, was ist dein Mehrwert? Das eigene „Wofür“, die eigene „Wahrheit“ zu leben, ist fern von jedem Egoismus, auch wenn uns das die meisten Leute ständig versuchen einzureden. Denn unabhängig davon, dass dein Leben erfüllter sein wird, ist einer der schönsten Nebeneffekte, dass du nun automatisch wertvollen Zündstoff mit dir trägst, der andere wiederum inspiriert, ihr eigenes Leuchten zu entfachen. Denn wenn du eines Tages, hoffentlich ohne Schmerzen und Bedauern, auf dein Leben zurückblickst und feststellst, dass dein Selbstwert, deine Seele und deine Lebensmotive nicht gut ausgerüstet waren, dafür allerdings deine Garderobe, wird dir das sehr wahrscheinlich nur ein kleiner Trost sein. Der “coole Look” sollte zum tollen Nebeneffekt werden, während du „dein Ding machst“, vielleicht gründest und Unternehmer*in wirst, in die Forschung gehst, dich für das politische Amt aufstellen lässt, Vollzeit-Familien-Managerin bist, dich ehrenamtlich einsetzt oder eben einen Mix aus allem für dich findest.

Fangen wir mit kleinen Schritten an!

Bitte lösche kein Bild von Instagram und Co, nur weil du nicht deine erwünschte Like- und Kommentar-Anzahl erreichst. Du gibst den anderen damit viel zu viel Macht über dich und dein Wohlbefinden. Glaube mir, ich tue mir immer noch wahnsinnig schwer damit, zu akzeptieren, dass ein Bild, auf dem ich mich in Wäsche zeige, mehr Likes (vor allem von Frauen, das muss an dieser Stelle auch gesagt werden) bekommt als ein Foto von unseren Selbstliebe-Workshops. Auch wenn ich nachvollziehen kann, dass dieses selbstbestimmte Nackt-Zeigen in den Sozialen Medien für die meisten ein wahrer Befreiungsschlag ist, ist es dennoch ab und an sehr ernüchternd für mich, wenn unter einem unserer Beiträge (mit einer meines Erachtens nach wichtigeren Message) anschließend Fragen zu meinem Look auftauchen. Ich habe mich lange gefragt, was mich daran wahrhaftig stört, oder ob es eher die Angst ist, als „hübsche Modepuppe“ nicht ernstgenommen zu werden. Doch die Schriftstellerin Margarete Stokowski bringt es mit der Frage in ihrem Buch „Untenrum frei“ ziemlich gut auf den Punkt: „Haben wir die Fesseln der Unterdrückung längst gesprengt oder haben wir nur gelernt, in ihnen shoppen zu gehen?“

80% der Werbung werden ausschließlich für Frauen produziert. Die Schönheitsindustrie macht mit unseren Selbstzweifeln jährlich ein Milliardengeschäft, manipuliert uns und verspricht uns Wundermittel in kleinen, überteuerten Cremes. Übrigens: Jedes Shopping-Center bietet den Kundinnen 80% mehr Fläche als den Kunden. Und im kosmetischen Bereich und beim Frisör zahlen Frauen mit einem Kurzhaarschnitt meistens auch mehr als 50% mehr als die Männer, nur weil sie ein Frau sind. Der feministische Aspekt, der sich unter dem Kleiderhaufen verbirgt, ist vielen gar nicht wirklich bewusst. Oder wie viele Pakete von Zalando, Asos und H&M stehen aktuell in deinem Flur? Wie viel Zeit deines kostbaren Lebens nehmen dir das Stöbern online, das Anprobieren, die Frustration, wenn es mal wieder nicht passt, das Paket-Wegbring-Workout und natürlich all die Diäten & Fitnessstudio-Gänge, um überhaupt in die Kleidung zu passen (da das meiste nur bis Kleidergröße 44 produziert wird)? Tatsächlich ist es erschreckend viel Zeit, die dir an anderen, viel wichtigeren Stellen fehlt, und Geld ebenso. Dazu übrigens noch: Ja, es ist etwas anderes, wenn du einen “großen Körper” hast, deshalb nichts in den Läden findest und dich dann online umsehen musst. Ein Tipp an dieser Stelle: Tolle Klamotten für größere Größen als Size 44, in die du dich erst reindiäten musst, findest du bei Happy Size!

Unsere Selbstzweifel und Frustrationen, dass wir eben nicht so aussehen wie die Frauen, die uns ständig im TV, auf Werbeplakaten auf den Straßen und in Magazinen gezeigt werden, halten uns klein. SO KLEIN, DASS WIR PLÖTZLICH UNSER „DING“ FÜR ZU GROß HALTEN UND UNS NICHT MEHR DARAN WAGEN. Vor allem nicht, bevor wir nicht etwas bestimmtes geleistet haben, in Form „optischer Optimierung“ oder eines „höheren Status“. Siehst du, welche drastischen Auswirkungen dieser Kreislauf mit sich bringen kann? Mal ganz abgesehen davon, was wir vielen Menschen auf dieser Welt mit unseren Fast-Fashion-Erlebnissen antun…

Was bedeutet es, dass ich nie wieder etwas kaufen darf?

Auch wenn unser Bewusstsein von einem Shopping-Fasten oder einer „30-Teile-Challenge“ mehr als profitieren würde, reicht es zu Beginn, erst einmal überhaupt wieder die reine Freude zu erlernen. Ich beschenke mich heute immer noch wahnsinnig gerne mit toller Kleidung, doch ich erfreue mich nun an jedem einzelnen Produkt selbst (und wie ich mich in ihm fühle) und nicht an den Bewunderungen und Komplimenten, die mir dieses Produkt bescheren wird. An sich ist es ganz einfach: Du findest deinen Look erst, wenn du dich findest. Denn dein Äußeres hat so viel mehr mit deinem Inneren zu tun als du es für möglich hältst.

Du bist der Anlass

Und weil mir aber auch immer noch so viele wundervolle Frauen begegnen, die sich voller Scham und Schmerz in schwarzen, langen Vorhängen vor der Welt verstecken und somit auch vor sich selbst, möchte ich auch die folgenden Zeilen schreiben. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber an manchen Stellen ist es mehr als angebracht: DER REST DER WELT WIRD DICH LIEBEN, WIESO AUCH NICHT?! DOCH DER REST DER WELT KANN SICH ERST DANN IN DICH VERLIEBEN, WENN DU ES ZUVOR TUST. MIT DEINEM LEUCHTEN SCHENKST DU ANDEREN DIE ERLAUBNIS, DICH WAHRHAFTIG ZU SEHEN.

Versteh mich nicht falsch, Schwarz ist heiß – wie etwa das kleine Schwarze beim ersten Date, schwarze Spitzen-Unterwäsche in Venedig, der fancy, schwarze Anzug mit dem Schriftzug „Why not“ in Neon bei deinem ersten Pitch oder ein schwarzer Morgenmantel aus Satin, in den du jeden Morgen schlüpfst, um den Tag bestmöglich willkommen zu heißen. Doch schon wieder „nur“ den schwarzen Oversize-Pulli zu tragen, weil er eben da ist und du dich sicher in ihm fühlst, ist alles andere als heiß. Sondern strahlt eher die Botschaft aus: „Ich bring mal kurz den Müll raus!” Nur dass in diesem Fall das “Kurz“ bereits zu lange anhält und der „Müll“ dein Leben ist. Hör endlich auf, darauf zu warten, dass dir jemand die Erlaubnis zum Leuchten gibt! Die kannst nur du dir selbst geben. Finde die Freude am Schönen, und ja, du verdienst Glitzer! Genieße dich und dein Leben! Ja, das bedeutet, du darfst dir Spitzen-Dessous kaufen, auch wenn nachts kein*e Partner*in mit dir das Bett teilt. Du bist trotzdem niemals allein, denn da bist ja du, wie wundervoll! Und du hast all das Schöne, Gute und Tolle verdient, immer und jetzt! Natürlich ist es praktischer, Wanderschuhe beim Klettern zu tragen als glitzernde High Heels – das ist mir nicht nur bewusst, sondern ich habe es hautnah erlebt (und überlebt). Mir geht es darum: Wenn ich deine Unterschwäsche-Schublade öffne, habe ich dann das Gefühl, dass du ein glückliches oder ein trauriges Leben führst? Und ich lasse mich hier nicht auf die Diskussion ein, dass Kleidung nichts über dich und dein Leben verrät, weil das absoluter Bullshit ist. Natürlich ist mir bewusst, dass viele Menschen, vor allem Frauen, Fashion nutzen, um etwas Bestimmtes darzustellen, und dahinter häufig mehr Schein als Sein steckt. Doch mir geht es heute darum, dass du wirklich, wirklich verinnerlichst, dass du keinen bestimmten Anlass (wie eine Hochzeit, ein Event und Co.) benötigst, um dich schön zu machen bzw. zu fühlen, sondern verstehst: DU BIST DER ANLASS.

Wenn du verstehst, dass du dir das alles und noch so viel mehr wert sein darfst, bekommst du hoffentlich auch wieder die Lust, dich lebendig zu fühlen, und dabei nicht unbedingt immer „nur“ sicher. Erobere dir all das wieder Schritt für Schritt zurück, was dir andere mit ihren merkwürdigen Mode-Tipps madig gemacht haben! Erinnerst du dich noch an den Spaß, den wir damals hatten, als wir uns im Kindergarten in der Spielecke verkleidet haben oder wieder etwas aus dem Kleiderschrank unserer Eltern geklaut haben, und uns vorgestellt haben, dass wir auch all diese schönen Dinge besitzen werden, wenn wir groß sind? Jetzt bist du groß!

Denn all die Dinge, auch die Kleidungsstücke, die du im Außen anziehst, kannst du nur in dein Leben ziehen, weil du das Zeug dazu bereits im Inneren trägst. Denn so schön es ist, nicht nur die eigene Schönheit zu feiern, sondern auch die um uns herum – wie etwa Mode, Kunst und Architektur -, ist doch das wichtigste, kostbarste und schönste Accessoire, das du jemals besitzen wirst, dein SELBST BEWUSST SEIN. Dein Look wird dich nicht nur finden, wenn du dich selbst findest, sondern wenn du zu dem wichtigsten Anlass in deinem Leben wirst.

Ganz viel Bauchliebe und Licht an Dich, Deine Sandra

P.S: Humor ist beim Thema Mode definitiv mehr als hilfreich. Ich kann rückblickend bei weitem nicht mehr jede Motivation hinter jedem gewählten Look nachvollziehen. Doch darum geht es schließlich nicht, denn Kleiderstangen gibt es bereits zu genüge.

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