Belly Story von Nadine Demharter: Mein Bauch & ich

Sandra Wurster | 21 November, 2020


          
            Belly Story von Nadine Demharter: Mein Bauch & ich

Mein Bauch und ich, wir kamen immer gut miteinander aus. Auf einem Bild aus meinem ersten Lebensjahr strecke ich meinen kleinen Blähbauch nach vorne, sodass es aussieht als würde ich jeden Moment platzen oder davonkugeln. Die folgenden Lebensjahre ist mein Bauch etwas größer gewachsen und die Proportionen haben sich etwas besser verteilt.

Bei mir ist das seit vielen Jahren so, dass am unteren Teil des Bauches ein Polster sitzt, dass egal, wie viel Sport ich gemacht habe, nie verschwunden ist. Und das ist gut so. Ehrlich gesagt war ich in Schwimmbädern oder in der Sauna immer auf der Suche nach anderen Bäuchen, die meinem ähneln. Nie sah ich einen Bauch, der meiner Silouette nur annähernd ähnelte. Seit meinem Jugendalter trage ich hochgeschnittene Hosen oder Hosen und Röcke mit Gummibund. Egal, wie schlank oder breit meine Beine im Laufe der Zeit waren, oben an meinem Polster waren die Hosen immer zu eng. Heute bekomme ich Beklemmungen schon alleine, wenn ich eine Hüftjeans mit Knopf sehe. Knöpfe stören meinen Lieblingsbauch, der Platz zum Atmen braucht. Außerdem habe ich seit mehr als 10 Jahren eine Narbe quer über den Bauch. Sie verläuft wie ein kleines Rinnsal von oben nach unten und bildet in der Mitte im Bauchnabel eine kleine Quelle von größerem Narbengewebe. Als ich in etwa 18 Jahre alt war, wurden mir dort auffällige Hautmale mit moderner Lasertechnik entfernt. Mein Bauch hat mir diese Feuerprobe verziehen und die Wunden, so gut er konnte, verheilt.

All meine bisherigen Partner waren ein Fan meines Bauches. Sie kuschelten sich gerne in meine kleine Bauchkuhle, die Stelle zwischen dem Teil, wo der Bauch flach wird, und dem weichem Hügel. Frau Bauch hatte viele Namen.

Ich habe mir vor dem Spiegel oft einen Spaß daraus gemacht, Luft einzuatmen, anzuhalten und mir vorzustellen, wie es wohl wäre, ein Kind darin zu tragen. Ich kann bis heute so viel Luft darin sammeln, dass es tatsächlich so aussieht, als sei diese Kombination aus Bauch und Luft eine gute Hoffnung. Einmal bin ich damit sogar in einer langen Schlange weiter nach vorne gekommen. Es war ein Notfall, sonst mache ich so etwas nämlich nicht. Selbst als unter meinem Herzen tatsächlich ein Kind heranwuchs, habe ich diesen Vorwand nicht genutzt, um mir einen Wartevorteil zu verschaffen. Ehrlich.

In meiner ersten Schwangerschaft wurde aus dieser wechselreichen Landschaft ein Luftballon. Aufgrund einer übergroßen Menge an Fruchtwasser war die Bauchkugel besonders prall und proportional übergroß für meinen durchschnittlich kleinen Körper. Mein Bauchnabel ploppte in der 39. SSW und zu meiner Überraschung sah ich ein kleines Hautmal, dass ich in den Untiefen meines Nabels nie das Licht der Welt erblickt hatte. Ich nannte diesen kleinen Fleck liebevoll meine Nacktschnecke. In vierzig Wochen habe ich meinen Bauch geölt, in Gedanken mit imaginiertem, schützendem Licht bestrahlt, mit Henna bemalt und mit einem orthopädischen Gurt stabilisiert. Der Gurt war grau mit floralem Muster, man gönnt sich ja sonst nichts. Mein Bauchgefühl sagte mir deutlich, dass alles gut werden würde. Dass ich die Kraft hatte, mein Kind wie tausende Frauen vor mir aus meiner weiblichen, natürlichen Kraft zu gebären. Ich hatte keinen Zweifel und war von Fußspitze bis Haaransatz mit positiven Gefühlen und Vorfreude auf die Geburt angefüllt.

Meine Tochter kam fünf Tage nach ihrem Geburtstermin per Notkaiserschnitt zur Welt. Die Operation, die der Geburtstag meines Mädchens sein sollte, hat mich in allem, was ich bin, erschüttert. Der wegweisende Schnitt hat mich in meiner Mitte verwundet. Diese Geburt, die so anders verlief als von mir erhofft, nahm mir eine Zeit lang das Vertrauen. Sie nahm mir mein Vertrauen in diese natürliche Weisheit des Bauches namens Bauchgefühl.

Als junge Mama traute ich nichts und niemandem mehr, vor allem nicht meinen eigenen Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Das, was man mütterliche Intuition nennt, konnte ich nicht fühlen und wenn doch, schien sie mir unzuverlässig.
Als ich mich zum ersten Mal nach der Geburt im Spiegel betrachtete, sah ich meinen schlaffen Bauch. Ich hätte mir nie vorstellen können, wie weich und verletzlich es sich anfühlt, Mutter zu sein. Der untere Teil meines Bauches war taub, der andere Teil schmerzte bei jedem Husten und jeder falschen Bewegung. Mein Bauch war ebenso haltlos wie ich.

Es sind nun einige Monate vergangen seit dem Tag, an dem ich mein Bauchgefühl verlor. Und ich kann dir schreiben, es waren Tage voller Trauer, voller Glück, voller Schmerzen in Kopf und Bauch und Dankbarkeit in meinem Herzen. Diesem Herzen, unter dem ich meine Tochter viele Monate sicher in meinem Bauch getragen hatte. Ich habe neu lernen müssen, meinem Bauch zu vertrauen. Ich habe mich an meine neue Silhouette gewöhnen müssen. Ich habe das, was durchtrennt wurde, durch achtsame Körper- und Mentalübungen neu verbinden können. Ich habe ein paar ernste Worte mit meiner Gebärmutter gesprochen und ihr dann vergeben. Und sie mir.

Ich habe mutig meinen Bauch berührt und gestreichelt, obwohl ich es nicht fühlen konnte. Ich wusste, er wird es mögen.
Mit jeder neuen Erfahrung als Mutter habe ich verstanden: Mein Bauchgefühl hat mich nicht getäuscht. Ich habe es nur mit meiner Intuition verwechselt. Ich habe verstanden, dass mein Bauchgefühl auch nicht die Zukunft voraussagen kann. Und es kann auch keine Babys auf die Welt bringen. Das Leben ist in seiner Weisheit manchmal unbegreiflich. Mein Bauch hätte mich nicht warnen können. Denn das Bauchgefühl greift auf vergangene Erfahrungen zurück. Ich hatte noch nie eine Geburt erlebt und das Beste gehofft. Dadurch hatte ich eine unvergesslich friedvolle Schwangerschaft. Und mein Baby ist mir eine weise Lehrerin. Sie ist noch ganz und gar mit ihrem Bauchgefühl verbunden.

Meine Mitte ist unperfekt. Sie erzählt eine Geschichte. Sie verwahrt eine Unterschrift zu einer Geburt, die vertraglich so nicht vereinbart war. Und so wie sie ist, darf sie sein. Wenn ich meine Tochter trage, trägt mein Bauchhügel verlässlich auf sanfte Art und Weise ihr Gewicht. Mein Bauch kribbelt, wenn meine Tochter ihre ersten wagemutigen Schritte geht. Mein Bauch platzt nicht, obwohl ich wieder einmal zu viel gegessen habe. Und er passt noch heute nicht in dieselben Hosen wir vor der Schwangerschaft, und das ist viel bequemer so.

Über Nadine

Nadine Demharter ist Kunsttherapeutin und Heilpraktikerin für Psychotherapie und lebt in Südthüringen. Außerdem ist sie Mama eines kleinen Mädchens und Erfinderin der Funkenpost. Mehr erfährst du auf ihrem Instagram Account @kunsttherapie.nadinedemharter und auf ihrer Webseite www.nadinedemharter.com.

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