Gastbeitrag von Noemi Christoph (Instagram: @noemichristoph)
Ich weiß noch genau, wie es war, als ich meinen Körper als Teenager zum ersten Mal bewusst und wertend angesehen habe. In diesem Alter ist es am wichtigsten, dass alles möglichst “normal” aussieht.
“Wie normal sind deine Brüste?” Wenn sie zu groß waren, hattest du die Arschkarte gezogen und wurdest als Kuh beschimpft. “Wie normal sind deine Beine?” Wenn sie zu dick oder zu dünn waren, waren es entweder Stampfer oder Zahnstocher, auf jeden Fall hatten sie eine Beleidigung verdient.
Unter Teenagern hält nichts stand, was vom Gewohnten abweicht, und sie können dabei unglaublich gemein sein. In das Blickfeld meines eigenen wertenden Blickes fiel damals: Mein Bauch. Anders als die Bäuche anderer Mädchen hatte mein Bauch nämlich ober- und unterhalb des Bauchnabels eine kleine Rolle, die am Unterbauch auch noch von einer kleinen Falte gesäumt wurde. So einen Bauch hatte ich noch bei keiner meiner Klassenkameradinnen gesehen. Infolgedessen war mein Urteil klar: Dieser Bauch war abgrundtief hässlich und die Falte setzte dem Ganzen die Krone des Ekels auf.
Fortan galt es, meinen Bauch und auch den Rest meines Körpers zu verstecken. Mit 14 zog ich eine Zeit lang in der Schule meine Jacke nicht mehr aus. Ich war der felsenfesten Meinung, potthässlich zu sein.
Fast forward zum Februar 2019. Ich habe inzwischen eine Essstörung besiegt und mich wieder zurück ins Leben gearbeitet. Ich habe meine Körperakzeptanz um tausend Prozent verbessert und arbeite als Coach inzwischen mit anderen Frauen daran, für sie dasselbe zu erreichen. Ich scrolle durch Instagram, habe gerade die Seite von Anjali Pinto entdeckt, die Fotos von allen möglichen Körpern zeigt. Nicht nur das, was wir aus der Werbung kennen, möglichst schlank und durchtrainiert und sexy, sondern Vielfalt, eben genau das, was eigentlich normal ist.
Mein Blick fällt auf das wunderschön ausgeleuchtete Bild einer Frau, die auf der Seite liegt, ihr Bauch in einer sanften Kurve auf dem Boden. Unterhalb des Bauches hat sie eine kleine Falte. Ihr Körper sieht so sanft, rund, einladend und sexy aus. Und ihr Bauch sieht aus wie mein Bauch mit 14.
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Mir steigen die Tränen in die Augen. Mein Körper war nie unnormal. Ich habe es nur nicht gewusst und mich dadurch teilweise unendlich alleine gefühlt.
Facebook, Twitter, Instagram, Tik Tok: Geht es um Soziale Medien, dann wird viel darüber gesprochen, wie schädlich es für die mentale Gesundheit sein kann, wenn wir zu viel in Sozialen Netzwerken unterwegs sind. Jede*r weiß inzwischen, wie man sich runterziehen lassen kann von wunderschönen Urlaubsbildern und dem vermeintlich makellosen Leben von YouTubern und Instastars.
Eine Studie ergab, dass die Sozialen Medien immensen negativen Einfluss auf die mentale Gesundheit Jugendlicher haben können, Depressionen und Angststörungen fördern. Dabei haben bildlastige Tätigkeiten, wie Selfies zu bearbeiten oder Accounts zu folgen, bei denen sich alles um das perfekte Äußere dreht, negativen Einfluss auf das eigene Körperbild und damit auf die Zufriedenheit mit sich selbst.
In den letzten Jahren haben alle möglichen absurden Challenges den Körper in fotografische Einzelteile zerlegt, bis nichts mehr übrig ist von dem, was einen Körper eigentlich ausmacht, nämlich die Gesamtwirkung. Und vor allem geht es dabei überhaupt nicht mehr darum, wie wir uns in unserem Körper fühlen.
Wer den Accounts großer Influencer*innen folgt, bekommt solche Fotos zu Gesicht: Perfekt aussehende Menschen am Strand, immer frei und fröhlich und rundum glücklich, mit makellosen Körpern und makellosen Bootys. Jetzt, während der Corona-Zeit, gibt es Hashtags wie #quarantine15, die darauf anspielen, dass wir alle 15 Pfund zunehmen, während wir zuhause bleiben, und natürlich filmen alle ihre Home-Workouts, um schlank und fit zu bleiben.
Was fühlen wir in unserem Körper, wenn wir diese Botschaften sehen? Die meisten von uns fühlen sich angespannt und spüren einen Druck, der sich über den Brustkorb legt.Es wird suggeriert, dass etwas mit uns nicht stimmt, wir uns nicht mehr unter Kontrolle haben. Und diese Botschaften decken die tief verwurzelte Ablehnung dickerer Körper auf.Denn wenn Zunehmen so schlimm ist, dann bedeutet das, dass Dicksein noch schlimmer ist. Kein Wunder also, dass sich Botschaften wie #quarantine15 furchtbar anfühlen, denn sie sind menschenverachtend.
Aber: Es kann auch anders sein. Es gibt bei Instagram zum Beispiel auch dieses Foto. Die Linke davon bin ich:
Auf diesem Foto sieht man wunderbar all die Cellulite an meinem Hintern. Im Mainstream würde es als “unvorteilhaft” kategorisiert werden.
Fiel es mir leicht, dieses Foto von meinem nackten Hintern öffentlich im Internet zu zeigen? Nein, denn auch meinen Po habe ich lange Zeit versteckt. Aber ich habe auch eine Mission und an die glaube ich: Ich will dabei mithelfen, dass Frauenkörper nicht immer nur aalglatt und perfekt dargestellt werden, sondern, dass medial mehr Vielfalt abgebildet wird.
Denn: Instagram kann nicht nur schlechten Einfluss auf das Körperbild haben, sondern Accounts, die diverse Körperbilder zeigen, können auch unsere Zufriedenheit erhöhen! Diese Accounts zeichnen sich dadurch aus, dass sie unterschiedliche Körper zeigen, unterschiedliche Hautfarben, Formen, Behinderungen UND dass sie betonen, dass man den Körper für seine Funktionalität schätzen lernt, anstatt ihn nur nach dem Aussehen zu bewerten.
Beispiele?
Da sind natürlich die Bauchfrauen!
Oder Wheelchair-Rapunzel:
Jessamyn Stanley:
Oder auch Kenzie Brenna:
Wieso zeige ich euch diese Bilder? Ich habe diese tollen Profile in meiner Instagram-Timeline und ich liebe es, mir ihre Posts anzuschauen, weil sie mich daran erinnern, dass die Werbung nicht die Realität abbildet und Körper einfach so unterschiedlich aussehen dürfen!
Und dieser Eindruck ist inzwischen auch wissenschaftlich belegt: Im letzten Jahr kam eine neue Studie heraus, die zum ersten Mal untersuchte, inwiefern es sich auf das Körperbild und auf das Wohlbefinden ausübt, wenn man körper-positiven Accounts folgt (als körper-positiv wurden in dieser Studie Accounts bezeichnet, die diverse Körper zeigen).
Es wurde untersucht, wie Studentinnen ihr Wohlbefinden einschätzten, nachdem sie Bilder körper-positiver Accounts angeschaut hatten. Als Kontrast wurde ebenfalls untersucht, wie es ihnen ging, nachdem sie Bilder gesehen hatten, die das gesellschaftlich vertretene “Thin-Ideal” (“das dünne Ideal”) abbilden. Als dritter Parameter wurden den Teilnehmerinnen “neutrale” Fotos gezeigt, die z.B. Blumen abbildeten.
Das Ergebnis war, dass die Studentinnen, die die körper-positiven Bilder gesehen hatten, ihre Stimmung und die Zufriedenheit mit ihrem Körper hinterher als positiver bewerteten! Im Gegensatz dazu bewertete die andere Gruppe ihre Stimmung negativer. Dasselbe zeigte sich bei Körpergefühl und allgemeiner Zufriedenheit.
Diese Bilder anzusehen hat also tatsächlich immensen Einfluss darauf, wie wir unseren eigenen Körper betrachten und damit, wie es um unser Wohlbefinden bestellt ist.Sie zeigen uns einerseits, dass es so viel mehr als das Ideal gibt, das gesellschaftlich verbreitet wird. Und sie zeigen uns, dass wir nicht alleine sind mit unserem Körpertyp.
Einsamkeit und Scham sind zwei enorm wichtige Einflussfaktoren unserer mentalen Gesundheit und sich nicht alleine zu fühlen ist eines unserer Grundbedürfnisse als Menschen. Deshalb war es für mich so wichtig, meinen eigenen Bauch in jemand anderem gespiegelt zu sehen. Und deshalb freue ich mich unglaublich, wenn jemand mein Foto mit “Endlich mal so ein Po wie meiner!” kommentiert. Weil ich weiß, dass sich diese Person dadurch ein bisschen weniger alleine fühlt. Und das ist es mir wert, meine Cellulite zu zeigen.
Du kannst also unglaublich viel Positives aus den Sozialen Medien ziehen, wenn du weißt, wie. Was du konkret tun kannst, um zum Beispiel dein Instagram zu einem Wohlfühlort für deinen Körper zu gestalten:
1.Schau deine Abos durch und sei ganz ehrlich mit dir: Wer ist dabei, der oder die dir kein gutes Gefühl (mehr) gibt? Auch wenn alle anderen scheinbar Person xy folgen und diese Person wunderbar sein mag: Du und dein Wohlbefinden sind immer noch am wichtigsten! In dieser besonderen Zeit kann es sein, dass du deine Auswahl noch mal neu bewerten willst. Vielleicht sind Personen dabei, die dir ein ungutes Gefühl vermitteln, weil sie z. B. in der Krise täglich trainieren und du dich dadurch unter Druck gesetzt fühlst. Statt zu entfolgen, kannst du auch erst mal die Stories von Accounts stummschalten. Dafür gehst du auf die Seite des entsprechenden Accounts, klickst auf “Abonniert”, dann auf “Stumm schalten” und wählst “Stories” aus.
2.Folge Accounts, die ein diverses Körperbild zeigen. Suche dabei zum Beispiel nach Hashtags wie #bodypositivity #körperliebe oder #fatacceptance. Freue dich darüber, mehr über vielfältige Körperformen zu lernen und vielleicht deinen eigenen Körper abgebildet zu sehen.
Du kannst dich außerdem dafür entscheiden, selbst an einer Community teilzuhaben. Denn es gibt unglaublich viele, nicht nur körper-positive, sondern z. B. haut-positive Communities, etwa für Menschen mit Akne usw. Für jeden vermeintlichen “Makel” gibt es einen Gegentrend. Und wenn noch nicht – dann können wir gemeinsam diesen Gegentrend erschaffen.Zusammen können wir so eine unendliche Vielzahl an Micro-Communities bilden, die jedem Einzelnen helfen, sich nicht allein zu fühlen.
Und dann überleg mal, was alles möglich wäre, wenn du nicht mehr so viel über dein Aussehen nachdenken würdest. Wenn du aufhören würdest, den Bauch einzuziehen, und stattdessen anfangen würdest, zu leben! Da kann so viel Energie frei werden, die wir in uns und die Themen investieren können, die wirklich wichtig sind. Und das haben wir alle verdient.
Quellen:
Cohen/Fardouly/Newton-John: #BoPo on Instagram: An experimental investigation of the effects of viewing body positive content on young women’s mood and body image, 2019.
Royal Society for Public Health: Instagram ranked worst for young people’s mental health. 2017
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