Auszug aus dem Buch “Das Leben ist zu kurz um den Bauch einzuziehen” von Sandra Wurster
Vor einiger Zeit lernte ich durch ein Projekt an einer Grundschule die Schulsozialarbeiterin Hanna Fischer kennen. Ich mochte an ihr auf Anhieb, dass sie so ein großes Herz für Kinder hatte und ihre offene Art, wie sie ihnen begegnete. Doch vor allem bewunderte ich ihren Style. Sie wirkte immer total lässig und zugleich modisch. Die Art von Frau, die morgens ohne jegliche Mühe irgendetwas aus dem Kleiderschrank herauszieht und damit verdammt gut aussieht. Etwas, was ich noch nie konnte, ich bin eher der Typ Frau, die eine lila gestreifte Strumpfhose zu einem pinken Rock mit einer roten Lederjacke kombiniert und zum krönenden Abschluss noch große auffällige Ohrringe dazu trägt: Ich habe eben keine Angst, mich zu zeigen und zusätzlich ein großes Faible für Farben und Kleidung, die direkt ins Auge springen.
Ich sehe das genauso wie die Moderatorin Palina Rojinski (die im Übrigen unsere TV-Welt durch ihre mutigen und außergewöhnlich bunten Looks bereichert). Sie hat einmal in einem Magazin-Interview vor ein paar Jahren gesagt, Frauen sollten keine Angst davor haben, über ihr Ziel stylisch auszusehen, hinauszuschießen. Sie würde auch oft über Sachen lachen, die sie gestern getragen hätte. Das gehöre eben dazu, wenn man mit Kleidung und Outfits herumexperimentieren wolle.
Meiner Meinung nach neige ich dazu, immer etwas zu gewollt gestylt auszusehen. Deshalb wollte ich mir so gerne eine Scheibe von Hannas natürlichem Look abschneiden. Doch das änderte sich als Vanessa, eine weitere liebe Arbeitskollegin, zu mir kam und mich für meinen besonders schrillen Look bewunderte. Sie würde sich zwar immer sehr bemühen, auch etwas auffälligere Outfits herauszusuchen, doch würden ihr der Mut und die Ideen fehlen, solche Farben miteinander zu kombinieren, wie ich es täte. Da machte es in meinem durch Hin-und-her-Bewerterei verunsicherten Hirn klick und ich verstand, dass wir alle nicht nur eine „Hanna“ in uns haben, sondern eben manchmal auch selbst eine für jemanden darstellen.
Doch obwohl ich versuchte, nicht mehr meine eigene Dos-and Don’ts-Liste abzutrainieren und mich nicht mehr durch das Abwerten anderer besser zu positionieren, und begriffen hatte, dass es absolut keinen Sinn macht, meinen schrillen Kleidungsstil aufzugeben, um letztlich einen zu kopieren, den es bereits gibt, ertappte ich mich manchmal noch dabei, wie ich gerne über andere oder über mich selbst herziehen wollte. Aber letztendlich, nach langen Übungsphasen, finden diese Gedanken kaum mehr Andockstellen in meinem Kopf und somit rutscht mir auch viel weniger über die Lippen, was ich nachher bereuen könnte. Und das ist für ein Plappermaul, wie ich es bin, schon eine kleine Revolution! Damit dies gelingen konnte, habe ich mir zusätzlich ein paar Gegenmaßnahmen ausgedacht, die ich in meinem Alltag anwende, um nicht mehr unter wöchentlichen Vergleichstragödien leiden zu müssen. Vielleicht ist hier ja auch für dich etwas dabei.
Maßnahme 1: Schau auf deine Schuhe!
Das Leben selbst hat mich schon so oft belehrt und erinnert mich immer wieder daran, mich nicht auf meinen Vorurteilen und Bewertungen auszuruhen, sondern
wie durch Kinderaugen jedes Mal Menschen und Situationen neu zu entdecken. Vor allem die Geschichten dreier unglaublicher Menschen erinnern mich daran. Bevor ich die Vergangenheit dieser Menschen kannte, habe ich mir ein Urteil erlaubt, das nur von einer Perspektive geprägt war: meiner. Durch diese wirkte meine Lieblingsnachbarin immer etwas unterkühlt und distanziert, bis sie mir anvertraute, dass sie einen sexuellen Missbrauch hinter sich hatte. Ähnlich war es bei einer alten Schulkameradin, die ich als schwächer und labil einstufte, bis sie mir erzählte, dass ihr Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Und zuletzt sei noch das Beispiel von dem höflichen kleinen Jungen aus einem meiner Tanzprojekte genannt, der durch seine undeutliche Aussprache etwas zurückgeblieben und ungebildet wirkte, bis ich seine taubstummen Eltern kennenlernen durfte und mich für meine Gedanken schämte. Alle drei sind aufrichtig betrachtet Superhelden ihres Alltages und versuchen, sich von ihren Schicksalsschlägen nicht unterkriegen zu lassen.
Ich bin unheimlich froh, dass diese Menschen mir ihr Geheimnis anvertrauten und mich vom Gegenteil meiner eigenen Vorurteile überzeugen konnten. Darüber hinaus haben sie mich gelehrt, viel vorsichtiger mit meinen ersten Eindrücken umzugehen und mir nicht gleich anzumaßen, über andere ein Urteil zu fällen oder gar zu richten. Bei den Native Americans (aus Gründen der political correctness wird auch im Folgenden nicht von „Indianern“ gesprochen) gibt es ein sehr schö-
nes Sprichwort, das zu diesem Thema passt: „Großer Geist, bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen, ehe ich nicht eine Meile in seinen Mokassins gegangen bin.“
Und wenn ich bemerke, dass ich wieder einmal in mein altes Muster verfalle und vorschnell urteilen will, schaue ich einfach auf meine Schuhe und erinnere mich an die Weisheit des Spruches und an die drei Superhelden, die ich kennenlernen durfte. In unserer Welt gibt es viele kleine Helden, denen wir ab und an gewiss anders begegnen würden, wenn wir ihre ganze Geschichte kennen, betrachten und wertschätzen würden. Geben wir ihnen die Chance, von sich zu erzählen, sich zu zeigen – damit wir sehen können, wer sie wirklich sind.
Maßnahme 2: Saunieren
In die Sauna zu gehen gehört zu meinen absoluten Kraftfeldern. Das ist selbstredend, weil es eine schweißtreibende Entspannung für Haut, Körper und Seele ist. Doch für mich ist es immer ein ganz besonderes Highlight so viele echte, nackte Frauenkörper zu sehen. Wann bekommt man denn sonst die Gelegenheiten dazu? Gerade deshalb sauge ich alles mit meinen Augen auf, was die Sauna so zu bieten hat: seien es lange Beine, hängende Brüste oder große Nasen. Ich könnte Stunden damit verbringen, nur die unterschiedlichen Körperformen anzuschauen und festzustellen, dass „nackt“ betrachtet, doch alle Menschen den gleichen Naturgesetzen unterliegen und keiner der Schwerkraft und dem herunterrinnenden Schweiß entkommt. Besonders sichtbar wird dies am Damen-Sauna-Tag, wo meist eher ältere Frauen genüsslich schwitzen und anschließend gemeinsam ein kleines hüllenloses Teekränzchen abhalten. Das mit der Ruhe kann man an solchen Tagen vergessen, aber das Bild, das dieses Szenario bietet, ist einfach zu köstlich. So wie die älteren Damen da gemeinsam schnacken, bekommt man das Gefühl, dass es ihnen herzlich egal ist, ob ihr Busen fast schon am Boden schleift oder der Oberarm auch dann noch winkt, wenn man schon längst aufgehört hat, zu grüßen. Es sind Frauenkörper, die auf ihre Weise einfach natürlich wirken, einiges erlebt haben, von Lebenserfahrung und Geschichten erzählen. Jede Falte und Narbe hat da ihre ganz eigene Story.
Ist das was für dich, mal in die Sauna zu gehen und wahrzunehmen, wie menschliche Körper so ohne allen äußeren Schnick-Schnack, ohne Aufhübschmittel und coole Klamotte aussehen? Dazu wie unterschiedlich? Lass dich überraschen, was du alles wahrnimmst und wie du dich danach fühlst.
Maßnahme 3: Komplimente machen
Anstatt sich gegenseitig immer wieder zu vergleichen und andere zu beurteilen, wäre es viel sinnvoller, die vorhandene Vielfalt unter den Menschen und sich selbst in seiner Einzigartigkeit zu feiern. Das funktioniert hervorragend mit Komplimenten. Für mich haben Worte eine unheimliche Macht – besonders wohltuende. Perfekt dossiert können sie einem schon mal den Tag retten. Welche zu verteilen und zu bekommen, macht richtig gute Laune. Es fällt jedoch nicht allen Menschen leicht, ein Kompliment anzunehmen, erst recht nicht, wenn die Schmeichelei dem eigenen Aussehen gewidmet wurde, statt der schicken Handtasche.
Da gäbe es einmal, die „Überforderten“, die nicht glauben können, dass sie wirklich gemeint waren und sich somit erst einmal nach hinten umdrehen, um sich zu vergewissern, dass auch tatsächlich keine Verwechslung besteht. Und dann wären da noch die „Zurückhauer“, die oft – ohne es wirklich ernst zu meinen – ein Pseudokompliment zurückschenken, nur aus purem Pflichtbewusstsein. Falls du dich nun angesprochen fühlst, versuche doch beim nächsten Mal, anders zu reagieren, nimm wahr, wie es sich anfühlt, ein Kompliment anzunehmen, ohne einem Drang nachzukommen, dich gleich revanchieren zu müssen! Ja, genau du bist gemeint, sag einfach nur danke und genieße.
Diese Beobachtungen rund ums Komplimente-Machen und -Erhalten forderte die Bauchfrauen-Illustratorin Kim Hoss und mich heraus, viele Läden in Stuttgart mit „Du bist schön“-to-go-Komplimenten auszustatten. Wir haben jeweils mehrere auf je einem DIN-A-4-Blatt abgedruckt und so eingeschnitten, dass sich leicht bei Bedarf ein paar wohltuende Worte abreißen lassen. Hinterlegt haben wir sie an Orten, an denen die eine oder andere ein klein wenig mehr Selbstbewusstsein gebrauchen kann. Ein solcher Ort ist zum Beispiel eine dieser schrecklich grell beleuchteten Umkleidekabinen. Zudem haben wir unsere „Komplimente-Vorlage“ auf unsere Homepage hochgeladen und dazu aufgefordert, damit den eigenen Arbeitsplatz und Lieblingsplätze zu dekorieren. In kürzester Zeit erhielten wir von vielen Menschen ein unheimlich gutes Feedback. Zahlreiche E-Mails und Fotos dokumentierten, wie Arbeitsplatz und Lebensumfeld mit den kraftvollen Worten verschönert wurden. Unsere Worte sind sicherlich nicht für jeden passend – doch solch eine „Komplimente-to-go-Vorlage“ ist super schnell selbstgemacht.
Deine eigene Komplimente-to-go-Vorlage
Sammle für dich Komplimente, von denen du weißt, dass sie dir und anderen Menschen gut tun, und schreibe sie so im Querformat auf je ein Sechstel des Blattes, dass du daraus sechs kleine Hand- oder Hosenzettel erhältst. Die Vorlage kannst du dann immer wieder kopieren (natürlich kannst du auch am PC eine erstellen und ausdrucken). Lege deine To-go-Komplimente an deinem Lieblingsplatz bereit, da, wo du zur Ruhe kommst und Energie tanken kannst. Wenn du möchtest, kannst du dort auch einen Stift und Klebezettel hinterlassen, dass du bei Bedarf, wenn du ein anderes Kompliment benötigst, es einfach direkt aufschreiben kannst. Auf geht’s! Such deinen Lieblingsplatz auf und schmücke ihn mit selbststärkenden Komplimenten! Denn das Lächeln, das du einem anderen Menschen ins Gesicht zauberst, kommt auf anderem Weg wieder zu dir zurück!