Petra Schleifer ist die Ernährungsexpertin unseres Vertrauens. Sie bereichert und ergänzt unsere Arbeit mit ihrem wertvollen Wissen zu Intuitivem Essen und all den Körperschmerzen, die Frauen mit sich herumtragen. Aber diesmal gibt es mal keine neue Portion Wissen von ihr, sondern ihre ganz persönliche Geschichte. Wir haben mit ihr gequatscht und entstanden ist eine etwas andere Belly Story. Ein Gespräch über Diäten, fehlendes Körpervertrauen und Tupperdosen.
Hallo, liebe Petra! Schön, dass du dir die Zeit genommen hast. Erzähl mal, wann hast du denn deine erste Diät gemacht und warum? Und wie bist du überhaupt darauf gekommen?
Das war tatsächlich mit 9 Jahren. Gefühlt war mein Gewicht schon immer Thema in meiner Familie. Ich kam wohl schon als kleines, speckiges Baby auf die Welt und bis zu meinem 9. Lebensjahr fanden auch alle gut, dass ich alles aß und so unkompliziert war. Aber dann irgendwann wurde auf einmal befürchtet, dass ich zu dick werden könnte. Das war ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, aber meine Mutter hatte Angst davor. Weil dann ja andere denken könnten, sie wäre keine gute Hausfrau. Außerdem herrscht in meiner Familie schon immer diese 50er-Jahre-Einstellung, dass eine Frau hübsch sein muss, um einen Mann zu bekommen, ohne den sie unvollkommen wäre.
Dieses Frauenbild wurde dann mehr und mehr Thema, umso älter ich wurde. Mit 15 Jahren machte ich irgendwelche ungesunden Kuren und wenn ich dann abgenommen hatte, wurde mir gesagt, wie hübsch ich jetzt aussah – nach dem Motto „Das Leben ist doch viel toller, wenn man schön und dünn ist.“ Mein Leben bestand also bereits in jungen Jahren aus Diäten und Fressattacken, nicht essen und heimlich essen. Und das Allerschlimmste daran war, dass ich gar nicht verstand, wie gestört das war. Und es ist nun einmal gestört, über jeden Bissen nachzudenken.
Wie ging dein Weg dann weiter?
Ich besuchte ein Ernährungsgymnasium und studierte Ernährungswissenschaften. Ich beschäftigte mich rund um die Uhr mit Ernährung, weil ich dachte: Wenn man genug weiß, dann hat man sich im Griff. Ich dachte, irgendjemand muss mir doch erklären können, wie es geht, dünn zu sein und zu bleiben. Es gibt schließlich unzählige Programme, Studien und eine Milliardenindustrie, die darauf aufbaut. Man weiß zwar, dass das Gewicht im Gehirn bereits festgelegt ist und man sich seinen Körpertyp auch nicht aussuchen kann. Aber das sagt einem niemand, weil so kein Geld verdient wird. Ich war also ein Mensch mit Essstörung in einer komplett essgestörten Sozialisation.
Dann arbeitete ich lange in der Lebensmittelindustrie und machte Studien zu bestimmten Lebensmitteln. Auch da dachte ich noch: So, jetzt entwickelt doch bitte endlich mal das Lebensmittel, mit dem man langfristig abnehmen kann! Und das war gar nicht so weit hergeholt, denn ich bekam ja mit, wie daran geforscht wurde. Man versuchte und versucht, spezielle Pflanzen zu züchten und Pharmazeutika zu entwickeln. Bei all dem geht es letztendlich immer darum, den Menschen schlank zu bekommen. Und das löst psychische Störungen aus.
Wie hast du es dann geschafft, aus diesem Diätwahn herauszufinden?
Vor etwa 5 oder 6 Jahren habe ich das Buch „Intuitiv Abnehmen“ (Der Titel wurde aus Marketinggründen so gewählt – es geht nicht ums Abnehmen) gelesen. Darin wird der Ansatz vermittelt, wieder zur Ernährungsweise von Babys und Kleinkindern zu finden. Ein Kleinkind hat noch dieses ganz natürliche Verhältnis zu Essen – es isst, solange es Hunger hat, und hört dann auf, wenn es satt ist. Man stellt sich also die Frage, ob es einen Weg zu dieser Natürlichkeit zurückgibt. Auch, weil man feststellte, dass das Diätdenken noch weitere Auswirkungen hat. Es fördert das Schwarz-Weiß-Denken und die Annahme, dass „gute“ Ernährung aussagt, dass man ein „guter“ Mensch ist, sprich eine Identifikation über das Essen. Es geht also darum, dass der Mensch keine neuen Diätregeln braucht, sondern eine Art Unlearning der Diätregeln, um endlich vom kopfgesteuerten und kontrollierten Essverhalten hin zu auf Körpersignalen basiertem Essen zu kommen. Es geht nicht ums Denken, sondern ums Fühlen und Empfinden.
Insgesamt brauchte ich sehr viele Informationen aus Studien und Büchern, um zu entscheiden, dem eine Chance zu geben. Schließlich hatte ich seit meinem 9.Lebensjahr nicht mehr auf meinen Körper gehört und ihm nicht mehr vertraut. Ich war immer davon ausgegangen, dass ich jemanden oder etwas im Außen brauchte, der oder das mir erklärte, wie es ging. Und das hatten mir ja auch immer alle bestätigt.
Mein ganzes Leben habe ich einen Plan von außen bekommen, den ich erfüllen sollte, um irgendetwas zu erreichen. Aber so funktioniert es nicht. Weder findest du einen Partner, weil du dünn bist, noch bekommst du ein Kind, weil du dünn bist, noch bist du glücklich, weil du dünn bist. Eigentlich geht es darum, sich anzunehmen wie man ist, ohne all diese Bedingungen an sich zu stellen. Aber es hat eine ganze Weile gedauert bis ich das kapiert habe.
Und wie bist du dann weiter vorgegangen?
Was mich dann erst so wirklich kurierte, war ein traumatisches Erlebnis vor ein paar Jahren. Danach ging es mir wirklich schlecht und ich hatte keinerlei Selbstkontrolle mehr. Ich, die Frau mit der Tupperdose, die sonst überall ihr Essen dabeihatte und sehr organisiert war, also in absoluter Kontrolle. Aber in dieser Zeit war ich froh, morgens aufstehen zu können. Da bemerkte ich, wie viel Kraft und Anstrengung mich das alles vorher gekostet hatte. Heute glaube ich, ich habe das Universum in gewisser Weise darum gebeten, mich zu schubsen, weil ich so nicht mein ganzes Leben verbringen konnte. Dann begann ich mich, mit der Theorie über Intuitive Ernährung im Hinterkopf, wirklich damit auseinanderzusetzen.
Weil ich auch meine Karriere auf meinem Bestätigungsbedürfnis aufgebaut hatte, war ich auch in meinem Job irgendwann sehr getrieben, unglücklich und unleidlich. Irgendwann bin ich dann zu einer Heilpraktikerin gegangen und war dann, obwohl ich vorher nie daran geglaubt hatte, sehr schnell Feuer und Flamme. Ich beschäftigte mich eine Zeit lang intensiver damit und entschied mich dann, selbst eine Ausbildung zur Heilpraktikerin zu machen. Das war die beste Entscheidung meines Lebens.
Hast du dich auch durch das Intuitive Essen und dein „neues“ Körpergefühl von alten Glaubenssätzen und Überzeugungen lösen können?
Ich habe dann noch einige andere Ausbildungen absolviert. Ich arbeite auch als systemische Familienberaterin, Traumatherapeutin und mache Homöopathie. Zu jeder dieser Therapieformen bin ich gekommen, weil ich sie selbst als Patientin gemacht habe. Auf meinem Weg bin ich immer wieder an Punkte gekommen, an denen ich gemerkt habe: Oh, da habe ich ein Problem. Dann habe ich eine Therapie gemacht. Meine Eltern beispielsweise tragen nach wie vor dieses Frauenbild in sich und beurteilen meinen Körper. Weil ich sie aber nicht nicht mehr besuchen möchte, weil ich sie mag, musste ich für mich einen Umgang damit finden. Das heißt, zu akzeptieren, dass das deren Meinung ist, aber nichts mit mir zu tun hat. Vieles habe ich also sowohl in meinen eigenen Therapien als auch in den Ausbildungen gelernt.
Wie ist dein eigenes Körperbild heute?
Es ist immer noch so, dass ich, wenn ich mir Bilder von früher ansehe, als mein Gewicht geringer war, denke, dass ich damals besser aussah. Mein Gehirn hat einfach so lange gelernt, dass „dünn“ in unserer Gesellschaft präferiert wird. Aber ich habe nicht mehr ansatzweise so einen Struggle mit meinem Körper. Es ist okay für mich, „dünn“ immer ein bisschen schöner zu finden, aber ich kann mich eben gleichzeitig daran erinnern, wie ich mich gefühlt habe, als das Bild aufgenommen wurde. Und das war nicht gut. Um mich wirklich attraktiv zu finden, musste ich also ganz andere Arbeit machen als abzunehmen.
Was möchtest du all den Menschen da draußen mitgeben?
Ich möchte Menschen empfehlen, nicht nur zu verstehen und zu denken, sondern wirklich auch etwas zu tun. Viele denken, sie lesen ein Buch oder hören einen Podcast und wissen, wie es geht. Aber das ist einfach nicht so. Man muss das Fühlen zulassen und sich wirklich wieder mit seinem Körper verbinden. Durch Yoga zum Beispiel. Da braucht man aber auf jeden Fall jemanden, der versteht, dass es dabei nicht um Diäten oder die Bikinifigur gehen darf. Trauma-Yoga gibt es auch und Körpertherapien, die auf Traumata spezialisiert sind. Und ich würde auch empfehlen, zu tanzen. Aber eben bei jemandem wie Sandra Wurster und nicht bei jemandem, der einen anschreit, dass man abnehmen soll. Man sollte auf jeden Fall darauf achten, jemanden mit Anti-Diät-Ansatz zu finden. Das möchte ich Leuten ans Herz legen. Außerdem empfehle ich auch eine Traumatherapie. Und ich möchte sagen: Es liegt nicht an dir, es ist nicht deine Schuld. Aber es gibt eine Lösung. Und wenn du dich auf den Weg machst, diese Lösung zu finden, dann gibt es sie auch.
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