Ich habe eigentlich so ziemlich alles durch:
Egal, ob ich unter Menschen war (Unterschiede sind dennoch wahrzunehmen zwischen selbstgewählten Lieblingsmenschen oder einem gezwungenen Beisammensein mit meiner Familie) oder mich mit Reisen, Wellness oder Arbeit ablenkte, ich fühlte mich oft in meinem Weihnachtsschmerz sehr einsam.
Das Leben ist keine Mathematik-Aufgabe
Genau das hat mir eine Psychologin vor einigen Jahren erklärt. Ich war eine ziemlich lange Zeit nämlich enorm gut darin, keinen Frieden mit meinen Schatten-Themen zu schließen, geschweige denn, diese wirklich bewusst wahrzunehmen. Doch ich war immer bemüht, immer beschäftigt und immer auf der Jagd, mich glücklich zu machen. Doch besonders an Geburtstagen und Weihnachten war es egal, wie viel Mühe ich mir gab, es kehrte immer eine bestimmte Grundtraurigkeit zu mir zurück.
Das ganze Jahr über „brauchte“ ich meine Familie eher nicht, vor allem nicht diese ungesunden und sehr grenzüberschreitenden Dynamiken… Nicht mit mir! Und so drückte ich diese ganzen schrecklichen, unangenehmen Familien-Dilemma-Themen runter, somit auch meinen Schmerz.
Doch an Weihnachten und meinen Geburtstagen klopfte dieser Mr. Schmerz immer ganz zart an mein Herz. Weil ich, trotz der Meisterin im Rennen, die ich mittlerweile war - nicht an der Tatsache vorbei rennen konnte, dass an solchen „besonderen“ Fest-Anlässen die Familie zusammen kommt, gefeiert und geliebt wird.
Plötzlich konnte ich sie nicht mehr unterdrücken, dieses kleine traurige Mädchen in mir, das ich doch um alles zu vermeiden versuchte, das es kaum aushält, familiär so isoliert zu sein, sich so ungewollt und nicht liebenswert fühlt, sich heimlich schämt und manchmal sich auch die Schuld dafür gibt…
Und genau deshalb suchte ich mir damals Hilfe und sei es dir bitte auch immer wert, das für dich zu tun, sobald du das Gefühl hast, von deinen Gefühlen, von deiner Trauer oder deine Gedanken überwältigt zu werden.
Meine Psychologin erklärte mir damals, dass meine Vorstellung von Heilung und Lösung nur eine Illusion sei, die mich nie wirklich zufrieden stimmen würde, sondern nur Todes-Erschöpfung hervorbringen würde. Sie meinte, dass die meisten Menschen das reale Leben mit einer Rechnungs-Aufgabe verwechseln. Gehen wir davon aus, dass meine Kindheit und/oder auch noch die heutige Beziehung zu meinen Eltern ein -10 für mich darstellt und durch meine ganzen Bemühungen (und all dem, was ich mir dadurch im Leben aufbaue und erreiche) eine +20 erreiche, dann würde in dieser Mathe-Aufgabe ein positives Endergebnis von +10 entstehen. Doch das Leben ist keine Rechnungs-Aufgabe und somit funktioniert dieser Gedanke auch nicht auf das reale Leben bezogen. Eine -10, schlechte Erfahrungen in deiner Kindheit oder Vergangenheit wird Teil deiner Vergangenheit bleiben und du wirst durch deine heutigen Aktionen, Leistungen und Bemühungen dies nicht verändern. Das liegt nicht daran, dass du dich nicht genügend bemühst, sondern dass das nicht in deiner Macht liegt, niemand kann das.
Was bedeutete das nun ganz konkret für mich? Dass ich es einfach hinnehmen musste? Ja genau, der erste Schritt ist genau das! Ohne Annahme der Vergangenheit (wie schrecklich sie auch für mich war) und meines Schmerzes, würde ich mein ganzes Leben genau davor versuchen wegzurennen und höchstwahrscheinlich nur an mir vorbei.
Auch wenn sich das ernüchternd anhört, ist das Leben, das noch vor dir liegt, so viel wichtiger als das, was hinter dir liegt. Doch wenn du ständig etwas vermeiden möchtest, liegt unbewusst deine Aufmerksamkeit genau darauf, auf deiner Vergangenheit.
Empfehlung:
Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“ von Stefanie Stahl
Netflix Film: Stutz
Doch eine Erfahrung fehlte mir noch, die Erfahrung, vor der ich immer Angst hatte.
Weihnachten alleine, nur mit mir zu verbringen.
Dieses Jahr war es dann soweit, ich fühlte mich bereit, diese Erfahrung zu machen.
Mein Tag
Morgens habe ich kurz mit einer Freundin telefoniert (die ebenfalls eine sehr traumatische Kindheit hatte und heute noch ein sehr schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter). Wir haben uns gegenseitig bestätigt, dass wir füreinander erreichbar sind und uns verbunden gefühlt. Kein „so tun als ob“, wir erlaubten uns unsere gegenseitige Traurigkeit und da sie dem Gegenüber nicht fremd war, war sie für keinen von uns unangenehm. Das tat richtig gut (übrigens darfst du traurig sein auch ohne „Grund“, du musst keine schreckliche Kindheit besitzen, Menschen verloren haben, oder, oder, um an diesem Tag Trauer, Einsamkeit oder Ohnmacht wahrzunehmen).
Danach war ich lange Spazieren mit Musik (das kann so magisch sein), lange baden, habe gelesen und mir was Leckeres gekocht.
Interessant war, obwohl ich wirklich gerne Filme konsumiere - ich habe keinen gefunden, der mich so wirklich gefesselt oder so richtig unterhalten hätte. Eine gewisse Unruhe machte sich gegen Abend stark bemerkbar.
Ich ging früh ins Bett, schlief auch ein und wurde dann nochmals wach und fand keine Ruhe. Und mitten in der Nacht, wo die meisten schon gar kein Licht mehr in der Wohnung brennen hatten, brach es aus mir heraus und ich weinte mich in den Schlaf.
Ich träumte wirres Zeug, schlief nicht durch und wurde früh wieder wach.
Doch am nächsten Tag fühlte ich mich unendlich Stark, weil ich mir diese Gelegenheit überhaupt ermöglicht hatte, mich nicht davor drückte oder ablenkte, sondern mir wahrhaftig selbst begegnete und gehörte. Und ja, auch der Schmerz ist mein.
Was für eine Erfahrung, mir selbst „beweisen“ zu dürfen, dass ich in der Lage bin, auch das zu fühlen, meine größte Einsamkeit und Traurigkeit. Und dass dies letztendlich auch nur eine weitere Information ist, die durch meinen Körper fließen und gefühlt werden will und wie Besucher uns dann auch wieder verlässt.
In meinem „Erfahrungs-Schrank“ ist nun eine weitere wichtige Erfahrung, die ich nicht missen möchte und die ich nach Belieben wieder wählen kann oder eben auch nicht. Aber ich besitze sie. Ich war mutig genug, sie überhaupt zu erfahren.
Und erstaunlicherweise war es viel friedvoller mir zu erlauben, „nicht froh sein zu müssen“ als den ganzen Aufwand (wie all die Jahre zuvor) zu betreiben, um dieses Gefühl zu vermeiden. Das kleine traurige Mädchen in mir war gar nicht mehr so traurig - weil es sich geliebt und gesehen fühlte, von mir. Und wir beide es mehr als okay empfinden, an Weihnachten nicht froh sein zu müssen!
Übrigens ist mir sehr wichtig, an dieser Stelle zu sagen, dass ich an die Liebe glaube - und wie. Diese ist für mich nicht nur in der eigenen Familie oder generell in anderen Menschen zu finden, sie ist so viel schöner, größer und unendlicher, als wir uns das meines Erachtens nur ansatzweiße irgendwie vorstellen könnten. Und ich glaube daran, dass diejenigen, die nicht an die Liebe glauben, sich immer wieder verlaufen werden im Leben…
Deine Sandra
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