Frau Wurster lässt Senf ab: Der kleine Hamburger

Sandra Wurster | 22 December, 2020


          
            Frau Wurster lässt Senf ab: Der kleine Hamburger

Kurz vor der Ausfahrt zur großen Stadt gab es eine alte Raststätte mit der blauen Aufschrift „Von Liebe allein wird man nicht satt“. Sie war das Zuhause vom kleinen Hamburger und seinen Freunden Cola, Mayo, Ketchup und natürlich seinem besten Freund und Begleiter Pommes.

Was sie nicht alles schon miteinander erlebt hatten: die Salz-Epidemie, den Öl-Skandal und die alltäglichen Küchenabenteuer, die zu so einer Brutzelbude eben dazu gehörten. Sie hatten solch einen Spaß, schmackhaftisch eben.

Doch eines Tages hörte der keine Hamburger, wie jemand bei der Bestellaufnahme überrascht fragte: „Haben Sie nur normale Hamburger?“ Normal, dachte der Hamburger und fragte sich, ob es noch andere Hamburger-Sorten gab, wie sie aussahen und wie sie wohl schmeckten. Und so fing er an, zu grübeln, über sich und die große Stadt, ja sogar über die große Welt. Umso mehr er grübelte, desto langweiliger fühlte er sich, dabei wollte er nichts sehnlicher als etwas Besonderes zu sein. Sein Freund Pommes scherzte bereits, dass er sich mit der vielen Grübelei sein leckeres Fleisch ganz matschig machte. Doch das hielt ihn nicht davon ab, stets zur Ausfahrt zu blicken – bis er sich letztendlich selbst dabei erwischte, sie zu nehmen. Ohne sich von seinen Freunden verabschiedet zu haben, denn das hätte er einfach nicht ums Fleisch gebracht.

Doch schnell war der Kummer vergessen bei all dem, was es nun für den kleinen Hamburger zu entdecken gab. Er wurde von all diesen neuen, abgefahrenen Burger-Kreationen völlig in den Bann gezogen und bereute keine Sekunden, diesen Weg gegangen zu sein. Doch obwohl seine neuen Bekanntschaften Cheeseburger und Chickenburger ganz lecker zu ihm waren und die große Stadt das absolute Burger-Paradies war, nahm er immer noch das Grübeln in sich wahr und wusste, dass dies nur ein weiterer Zwischenstopp auf seiner Reise sein konnte. Wieder blickte er auf die weite Straße hinaus. „Warum so traurig?“, fragte die Grill-Meisterin. „Ich möchte etwas ganz Besonderes sein, perfekt eben.“ Daraufhin antwortete die Grill-Meisterin: „Es gibt kein perfektes Rezept. Jede*r muss seine oder ihre ganz eigene Rezeptur finden, darauf kommt es an.“ Und ohne dass der kleine Hamburger sich die Zeit nahm, die versteckte Botschaft ordentlich zu verdauen, hatte er seine sieben Sachen gepackt und sich wieder auf die Reise gemacht.

So landete er in Italien, wo er sich verschiedene Käsesorten schmecken ließ und entschied, sich mit Büffelmozzarella zu schmücken. Anschließend begann er eine kleine Liebelei mit Madame Madeleine in Frankreich und ließ sich von ihr überreden, seine weich gewordenen Brötchenbacken gegen knusprige Baguettebacken einzutauschen. Bevor sie ihn zu noch mehr überreden konnte, machte er sich jedoch auf den Weg nach Amerika, denn er wollte sich mit knusprigem Bacon noch etwas mehr aufwerten. Obwohl er nun bereits echte Knaller-Toppings auf sich trug, fand er sich jedoch immer noch nicht saftig genug. Seine Rezeptur war einfach noch nicht perfekt. Und so ließ er sich in Griechenland vom knoblauchlastigen Tsatsiki inspirieren, in Indien von unterschiedlichen Currymischungen und in der Türkei von der bekannten roten Kebabsoße. Doch das Ideale war einfach nicht dabei und zu allem Übel bemerkte er, dass er langsam kalt wurde und, wie jede*r weiß, schmeckt ein kalter Burger absolut nicht! Plötzlich blutete ihm fast das Fleisch, weil er das Reisen und das Grübeln so satt hatte und ganz großes Heimweh nach seiner alten Raststätte. Er freute sich unheimlich, seine Freunde Cola, Mayo, Ketchup und seinen besten Freund Pommes wiederzusehen. Ob sie wohl sauer auf ihn waren?

Alle begrüßten ihn ganz liebevoll und staunten über seine neugewonnene Pracht. Während sie den Geschichten von seinen spannenden Abenteuern lauschten, entgegnete Pommes etwas trotzig: „Aber auf dem anderen Grill ist das Fleisch doch immer leckerer. Du hast uns also verlassen, um geschmackvoller zu werden, und als du bemerkt hast, dass dir das nicht gelingt, bist du wieder zu uns zurückgekommen?“ Da stupste Mayo Pommes an und sprach zum kleinen Hamburger: „Hör nicht auf ihn, er ist nur eingeschnappt, dass er nicht so mutig war, das Alte und Vertrauliche zu verlassen, um wie du seine eigenen Abenteuer zu erleben. Aber weißt du, für uns warst du stets lecker, ohne all deine neuen Toppings und auch mit all deinen neuen Toppings. Dein Fleisch bleibt stets dasselbe.“

Sein Fleisch wurde plötzlich außergewöhnlich warm und saftig, wie er es sich immer gewünscht hatte. Und ihm dämmerte, dass die letzte Zutat, die ihm gefehlt hatte, um sein ganzes Geschmackspotenzial zu entfalten, die Liebe war. Und das einzige, worüber der kleine Hamburger jetzt noch grübelte, war, ob der Besitzer der Raststätte wohl wusste, dass er log mit der blauen Aufschrift. Liebe ist nämlich das einzige, was uns wirklich satt macht.

Sandra Wurster

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